Trauer ist auch Liebe

In unserer Arbeit gibt es immer wieder auch schwierige Themen. Eins davon ist das Thema Trauer. Der Tod ist oft noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Etwas, worüber wir nicht gerne sprechen. Bei uns ist Trauer und Tod dann Thema, wenn eine Frau eine Fehl-, Spät- oder Totgeburt erlitten hat, wenn das Kind früh verstorben ist oder wenn eine Frau mit der Entscheidung zu einem Schwangerschaftsabbruch nicht zurechtkommt. Auch diese Themen sind oft noch tabuisiert. Womöglich liegt die Ursache darin, dass dabei der Anfang und das Ende eines Lebens nah beieinander liegen.

Die Frage, die sich dabei immer stellt, ist, was ist Trauer eigentlich? Wie gehe ich damit um? Wie kann ich weiter leben?

Der Trauerprozess hängt davon ab, welche Gefühle die werdenden Eltern für das Kind in der Schwangerschaft und danach gehabt haben und was die Schwangerschaft bzw. das Kind für die Mutter und den Vater bedeutet hat. Was hat die Schwangerschaft und die Erwartung, mit diesem Kind zu leben, der Mutter und dem Vater gegeben?

Wie viel Glück, Erfüllung und lebensnotwendige Bestärkung hat die Schwangerschaft und die Erwartung auf ein Leben mit diesem Kind in das Leben des Vaters und der Mutter gebracht? Wie viel Konflikthaftigkeit, Enttäuschung und betrogene Hoffnungen verbinden die jeweiligen Elternteile mit der Schwangerschaft und dem zu erwartenden Kind?

Der Schmerz über den Verlust ist so stark, weil bereits Liebe existiert hat und immer noch existiert. Die Trauer ist oft umso intensiver, je intensiver die Bindung, die Gedanken, Pläne, inneren Bilder, der Kinderwunsch und die Liebesfähigkeit zum Kind war. Somit ist die Trauer der schmerzende Teil der Liebe.

Wenn nun eine Frau, ein Mann oder das Paar gemeinsam vor mir sitzt, was kann ich als Beraterin tun? Das Wichtigste ist immer zuerst: Zuhören und der Trauer Raum geben. Oftmals wird in unserer Gesellschaft nicht über den Tod gesprochen, da die meisten Menschen sich bei dem Thema unwohl fühlen. Aber das ist meist nicht im Sinne der Trauernden. Aus diesem Grund geben wir dem Schmerz der Trauernden Platz in unserer Beratung.

Häufig schließt sich in Trauerprozessen die Frage an, was ist nun erlaubt? Wie trauere ich richtig? Ich hatte ein Paar in der Beratung, welches eine schwer kranke Tochter bekommen hat. Sofort nach der Geburt stand fest, dass die Tochter nur wenige Tage leben wird, aber es war nicht absehbar, wie lange. Das Paar konnte die Tochter im Krankenhaus besuchen, aber nicht mit nach Hause nehmen. Eines späten Abends - 12 Tage nach der Geburt - kam der Anruf, dass die kleine Natalie gestorben ist. Das Paar hat damit bereits gerechnet und war schon im Trauer- und Abschiedsprozess. Nun war die Nachricht da, und sie wussten zunächst nicht, was sie jetzt machen sollen. Gerade haben sie noch ferngesehen und im nächsten Moment ist ihre Tochter tot. Jetzt weiter fernsehen, fühlte sich falsch an. Ihrer Tochter gedenken? Sie taten seit Tagen und vor allem Nächten nichts anderes als über den Tod ihrer Tochter nachdenken. Im Gespräch stellten sie mir die Frage, ab wann man wieder lachen dürfte. Sie fragten sich, ob sie schlechte Eltern sind, wenn sie mal wieder über etwas lachen.

Solche Fragen und noch andere gehen trauernden Eltern in dieser Situation durch den Kopf, und nur zu gern hätten die Eltern ein Patentrezept, wie man richtig trauert und wie man diesen Schmerz wieder abstellen kann.

Genau das ist auch der nächste Schritt, den ich als Beraterin in diesen Momenten anspreche: Trauer ist ein Prozess. Das geht nicht von heute auf morgen vorbei. Vor allen Dingen geht jeder Mensch unterschiedlich mit seiner Trauer um. Niemand kann einem vorschreiben, wie es einem in diesem Moment gehen muss oder soll. Dass Trauer nun mal ein Prozess ist und Zeit braucht, müssen wir Menschen akzeptieren.

Wenn Sie das hier lesen, klingt das wahrscheinlich recht eindeutig, doch Trauernde sind in einem Ausnahmezustand. Sie befinden sich in einer Art Blase, wo alles anders durchdringt und klares Denken oftmals nicht möglich ist. Klares Denken muss in solchen Situationen aber auch vorerst nicht möglich sein. Emotionen wollen ausgelebt werden.

Wenn die Eltern das annehmen können, kommt häufig schon eine Erleichterung. Das oben erwähnte Paar sagte mir nach der Beratung, dass es schön war zu hören, dass ihre Art zu trauern schon ganz richtig ist. Dass sie sich nicht schämen müssen, wenn sie wieder auch fröhliche Momente haben.

Ich versuche den Trauernden oft eine andere Perspektive zu zeigen. Sie haben einen großen Verlust erlitten, ob sie es selbst entschieden haben oder nicht. Nichtsdestotrotz bleiben sie ein Vater und eine Mutter. Was würde sich das Kind für sie wünschen? Ich bin der Überzeugung, dass jedes Kind möchte, dass seine Eltern glücklich sind. Es würde nicht wollen, dass sich die Eltern schuldig fühlen oder dass sie versuchen, ihren Schmerz zu unterdrücken.

Oftmals stellt sich in solchen Situationen auch die Frage, wie Abschied genommen wurde. Da hier der Beginn und das Ende eines Lebens so nah beieinander liegen, geht es oft recht schnell und manche hatten keine Gelegenheit zum Abschied. Dann gehe ich hin und schaue, ob es nicht noch ein Ritual oder eine andere Möglichkeit gibt, wie sich die Eltern bewusst verabschieden könnten.

Manche schreiben einen Brief an das verstorbene Kind oder schreiben über ihre Gefühle. Wiederum andere malen Bilder oder basteln (z.B. Erinnerungsbuch, -kiste) oder stellen sich Symbole, die für ihr Kind stehen, in der Wohnung auf. Manche zünden bspw. eine Kerze an, immer wenn sie ihres verstorbenen Kindes gedenken wollen.

Das besagte Paar hat sich zum Beispiel dafür entschieden, einen Brief an seine Tochter zu schreiben und diesen mit der Tochter verbrennen zu lassen. Ihre Asche wollten sie dann in ihrem Heimatland verstreuen. Ein perfektes Ritual gibt es hier allerdings auch nicht. Manchmal fühlt sich etwas ganz anderes passend an. Eine Frau, die eine Fehlgeburt erlitten hat, hat sich auch mit mir zusammen in der Beratung ein für sie passendes Abschiedsritual überlegt: Sie gärtnert so gern. Am meisten liebt sie ihre Sonnenblumen. Sobald die erste Blume blüht, möchte sie eine kleine Blüte abreißen und im Winde an ihrem Lieblingsort davon fliegen lassen. So wie ihr Kind nur kurze Zeit bei ihr war und irgendwie auch vom Winde verweht ist.

Das, was die Klienten in solchen Momenten benötigen, ist sehr individuell, und so versuche ich auch die Beratung zu gestalten. Dabei versuche ich auch immer auf die bereits vorhandenen Ressourcen der Klientinnen einzugehen. Was/wen erleben sie als hilfreich? Von wem fühlen sie sich unterstützt? Was wünschen Sie sich für die nächsten Tage? Was hält und tröstet sie? Was gibt Ihnen die Kraft durchzuhalten? Was stellen sie sich vor, könnte ihr Kind Ihnen wünschen? An diesen Fragen lässt sich erkennen, dass die Antwort die Klienten selbst in sich tragen. Manchmal muss man ihnen nur die richtigen Impulse geben und ihnen zuhören.

Denn wie bereits beschrieben: Trauer ist auch Liebe.

 

Über den Autor / die Autorin:
Elena Peters
Beraterin
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